Das Christentum ist eine Religion, in dem das Wort eine ganz zentrale Rolle spielt: es ist ein Glaube an ein oder genauer gesagt an: das Wort. Der Benediktinermönch David Steindl-Rast, Grenzgänger und interreligiöser Brückenbauer berichtet von seiner wichtigsten Erfahrung in der Begegnung mit anderen Religionen. Über das Wort, das aus dem Schweigen kommt und im Tun seine Antwort findet.
Viele von uns leiden beim Sonntagsgottesdienst unter Mangel an Stille. Worte, Worte, Worte. Und gerade Seelsorger, die sich wirklich Mühe geben, fügen dann zur Erläuterung noch weitere Worte hinzu. Ein grimmiger Witzbold drückt seinen Frust so aus: „Das Wort ist Fleisch geworden – aber das Fleisch wurde zu Wörtern.“ Nicht allen wird dieser Wortschwall zum Überdruss, aber doch genügend Vielen, um darüber nachzudenken.
Das Wort
Das Wort steht mit Recht im Mittelpunkt von Judentum, Christentum und Islam. In allen religiösen Traditionen der Welt geht es ja um Sinnfindung, und das Wort als Sinnträger hat dabei eine unersetzliche Funktion. Aber das wahre Wort kommt aus dem Schweigen. Und Sinn finden wir nur, wenn Wort und Schweigen zum Verstehen führen. Wenn wir tief hinhorchen, uns vom Wort ergreifen lassen und durch hellhöriges Tun antworten, dann führt es uns heim ins Schweigen. Im christlichen Gottesverständnis hat das Wort (der Sohn) seinen Ursprung im Schweigen des göttlichen Geheimnisses (des Vaters) und führt den Reigen der Schöpfung heim zum Vater durch liebenden Gehorsam (im Heiligen Geist, dem Geist des Verstehens). Schon im 4. Jahrhundert beschrieb der Hl. Gregor von Nyssa so den „Reigentanz der Dreieinigkeit,“ wie er ihn nannte.
Schweigen
Dass in einer anderen Tradition Schweigen oder Verstehen ebenso im Mittelpunkt stehen können, wie bei uns das Wort, das wurde mir durch eine Bemerkung meines Zen-Lehrers, Eido Shimano Roshi, zum Aha-Erlebnis. Ich hatte, so gut ich konnte, eine Einsicht formuliert und fragte ihn nun stolz: „Stimmt das so?“ „Haargenau!“ war seine Antwort, „aber wie schade, dass du es in Worte fassen musst!“ Und wenn er selber bei unseren Gesprächen manchmal recht beredt wurde, konnte er sich mitten im Satz unterbrechen und lachend feststellen: „Worte! Worte! Ich bin schon fast ein Christ!“ Die „Bergpredigt Buddhas,“ die Blumenpredigt, verläuft wortlos: Schweigend hält Buddha eine weiße Blume hoch. Nur einer seiner Jünger versteht den Meister: Mahākāśyapa lächelt schweigend. In diesem Augenblick, heißt es, wird er zum Nachfolger Buddhas. Die Tradition, die eben im Schweigen besteht, wird ihm übertragen.
Verstehen-durch-Tun
Im Hinduismus steht das Verstehen-durch-Tun ebenso im Mittelpunkt,
wie im Buddhismus das Schweigen und wie bei uns das Wort. „Yoga (und
damit sind alle Formen hinduistischer Spiritualität gemeint), ist
Verstehen,“ sagt Swami Venkatesananda lapidar. „Yoga“ ist ja
wurzelverwandt mit unserem deutschen Wort „Joch.“ Wie das Joch etwa zwei
Ochsen zum Gespann zusammenjocht, so verbindet Yoga Wort und Schweigen
im Verstehen-durch-Tun.
Für uns als Christen bleibt das Wort die
Sonnenmitte aller Kreisbahnen unserer Spiritualität. Aber nur im
Zusammenhang mit Schweigen und Verstehen-durch-Tun kann das Wort sich
voll entfalten und uns den tiefsten Sinn des Lebens erschließen. Darum
haben wir das Recht und die Pflicht, von anderen Traditionen zu lernen
(wie auch sie von uns). Gemeinsame Sinnfindung ist das Ziel der
Begegnung religiöser Traditionen. Das göttliche Geheimnis ist zu groß
für jede einzelne allein.
Still werden – hinhorchen – antworten
Weil also zum Sinn-Finden immer alle drei gehören – Wort, Schweigen und Verstehen-durch-Tun – spielen in der Praxis immer auch die weniger betonten Elemente einer Tradition eine wichtige Rolle. Unser christliches „Gebet der Stille“ ist vom buddhistischen Zazen praktisch nicht zu unterscheiden; unser „Gott-im-Tun-Finden“ (contemplatio in actione) ist christliches Yoga. Schon zur zentralen christlichen Praxis – „vom Wort Gottes leben“ – gehört der Dreischritt: Stillwerden / Hinhorchen / Antworten. Und so oft wir beten, „Ehre sei dem Vater durch den Sohn im Heiligen Geiste,“ treten wir gemeinsam mit allen sinnsuchenden Menschen in den „Reigentanz der Dreieinigkeit“ ein.
Artikel von Bruder David Steindl-Rast, erschienen im Herbst 2018 im Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan, mit einem von der Redaktion im Pfarrblatt geänderten Titel, der so nicht von Br. David genehmigt wurde.
Quelle: Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan Nr. 2, Seite 11, Herbst 2018