Was bedeutet Dankbarkeit?
„Unsere Aufmerksamkeit auf die Haltung der Dankbarkeit zu richten, ist eine Form achtsamer spiritueller Praxis, die den Vorzug hat, dass sie sehr schnell Resultate zeigt. Wenn wir uns am Morgen vornehmen, dankbar zu sein für alles, was uns an diesem Tag begegnet, werden wir am Abend vielleicht bereits spürbar glücklicher sein.
Dankbarkeit heißt, den gegebenen Augenblick und jede gegebene Gelegenheit als Gabe, als Geschenk, wahrzunehmen. So wachen wir auf zu einer neuen Lebendigkeit. Das gibt uns tausend Gelegenheiten, uns zu freuen! Und es schenkt uns auch unzählige Gelegenheiten, den Sinn in Situationen zu entdecken zu lernen, die uns zuerst einmal gar nicht als Geschenke erscheinen. Das ist eine spirituelle Übung und nicht einfach.
Nehmen wir an, wir seien uns einig, dass Dankbarkeit jene volle Lebendigkeit sei, nach der wir uns alle sehnen. Dann ist also die vor uns liegende Aufgabe einfach genug: Wir müssen erlernen, dankbar zu leben. Die Schlüsselfrage lautet: Wie fangen wir das an?
Denn in Zeiten, in denen wir körperliche, emotionale und spirituelle Schwierigkeiten durchleben, ist es für uns fast unmöglich, uns dankbar zu fühlen. Dennoch können wir uns dafür entscheiden, dankbar zu leben und uns dem Leben in all seiner Fülle mutig zu öffnen.
Was bedeutet Dankbarkeit?
Es ist das Gewahrsein der Einzigartigkeit eines jeden gegebenen Moments. Natürlich ist jeder Augenblick ein gegebener Augenblick – er ist ein Geschenk. Je älter wir werden, desto bewusster werden wir uns dessen, dass jeder Augenblick einzigartig ist. Diese Wahrnehmung stärkt unsere Freude am Leben; und mit Freude meinen wir das Glück, das nicht davon abhängt, was gerade passiert. Denn das ist wirklich das, was der menschliche Verstand ersehnt: anhaltende Freude.
Die spirituelle Praxis der Dankbarkeit hängt von keiner Sprache ab, keiner Kultur, keiner Religion – sie hängt von nichts ab. Jeder Mensch kann das erkennen und es selbst ausprobieren. So einfach ist das.
Dankbarkeit verstehen wir als Haltung einer dialogischen Achtsamkeit. Mit dialogisch ist gemeint, dass wir diese Achtsamkeit interaktiv in Beziehung zu unseren Mitmenschen leben: „Herz spricht zu Herz“.
Manche Menschen begegnen dem Begriff Dankbarkeit verständlicherweise mit Skepsis. Das mag daran liegen, dass fast jeder von uns Situationen kennt, in denen von uns Dankbarkeit erwartet wurde, obwohl wir uns nicht dankbar gefühlt haben. Diese mit dem Begriff Dankbarkeit in Verbindung stehenden unangenehmen Gefühle können uns bei der Beschäftigung mit der Dankbarkeit als spiritueller Praxis im Wege stehen. Dies zu sehen, kann hilfreich sein, um der Praxis der Dankbarkeit die schöpferische Chance zu geben, die sie verdient.“
Quelle: Auszüge aus Texten und Vorträgen von Br. David Steindl-Rast,
u.a. „Vision zum Netzwerk“, 2016
Stop – Look – Go –
„Dankbar leben“ als Haltung
„Um die Haltung der Dankbarkeit zu leben, kann eine recht einfache Gedächtnisstütze hilfreich sein:
Stop – Look – Go! Innehalten – Schauen – Handeln!
Wir müssen innehalten, denn sonst hasten wir direkt in den nächsten Augenblick, ohne den gegebenen Augenblick auch nur wertgeschätzt zu haben. Wir müssen hinschauen, denn wenn wir einfach nur innehalten, und das war’s dann, kommt nicht viel dabei heraus. Das heißt, wir können nach den Gelegenheiten schauen, die uns in diesem Augenblick angeboten werden. Und dann erst können wir handeln. Das wiederum bedeutet, dass wir nun etwas mit dieser Gelegenheit tun können. Und dann wird diese einfache Gedächtnisstütze „Stop-Look-Go!“ zu einer wahren spirituellen Praxis, die einfach im Alltag umzusetzen ist.
Dankbarkeit macht auch schöpferisch. Das Stichwort ist hier wieder „Gelegenheit“. Genau betrachtet sind wir ja nicht für dies oder jenes dankbar, sondern immer für die Gelegenheit, uns daran zu freuen. Und wenn wir erst einmal wach werden für die unzähligen Gelegenheiten, uns zu freuen, die wir zuvor freudlos als gegeben hinnahmen, dann vervielfältigt sich sofort unsere Lebensfreude. Es geschieht aber noch etwas Weiteres: Wir kommen in Übung und lernen, jede gegebene Gelegenheit beim Schopf zu packen – das macht uns schöpferisch. Wir lernen, auch mit Situationen umzugehen, in denen uns etwas begegnet, wofür wir nicht dankbar sein können. Wir fragen uns dann ganz spontan: “Wozu schenkt mir das jetzt Gelegenheit?“ Meist ist es Gelegenheit, Neues zu lernen. Menschen, die zu einer solchen Haltung fähig sind, erfahren nicht nur viel mehr Freude, sie sind auch im höchsten Grade schöpferisch.
Es geht um unsere ganz persönliche Verantwortung. Verantwortung ist ein schönes Wort. Es hat eigentlich schon das STOP – LOOK – GO in sich. VER – ANTWORT – UNG. Das VER heißt gründlich, ganz grundlegend. Und grundlegend wird etwas nur, wenn man der Sache auf den Grund geht. Dazu muss man innehalten In VERantwortung ist schon das Stop enthalten. ANTWORT ist hier die Antwort auf die Gelegenheit die das Leben uns gibt. Da muss man schauen und mit allen Sinnen offen sein, was will jetzt das Leben von uns? Was bietet uns das Leben für eine Gelegenheit. Und das UNG, die BewegUNG, das ist das GO – die Antwort, die wir geben, wenn wir uns der Verantwortung stellen, wenn wir etwas tun.
Das Leben und der Schwung und die Kraft des Lebens sind dann mit uns. Das weiß ich, darauf hoffe ich und dass wir das können, das wünsche ich mir und uns allen.“
Quelle: Auszüge aus Texten und Vorträgen von Br. David Steindl-Rast, u.a. „Vision zum Netzwerk“, 2016