Was ist Dankbarkeit?
Dankbarkeit verstehen wir als Haltung einer dialogischen Achtsamkeit. Mit dialogisch ist gemeint, dass wir diese Achtsamkeit interaktiv in Beziehung zu unseren Mitmenschen leben. „Herz spricht zu Herz“, so Br. David Steindl-Rast.
Unsere Aufmerksamkeit auf die Haltung der Dankbarkeit zu richten, ist eine Form achtsamer spiritueller Praxis, die den Vorzug hat, dass sie sehr schnell Resultate zeigt. Wenn wir uns am Morgen vornehmen, dankbar zu sein für alles, was uns an diesem Tag begegnet, werden wir am Abend vielleicht bereits spürbar glücklicher sein.
Dankbarkeit heißt, den gegebenen Augenblick und jede gegebene Gelegenheit, als Gabe, als Geschenk wahrzunehmen. So wachen wir auf zu einer neuen Lebendigkeit. Das gibt uns tausend Gelegenheiten, uns zu freuen! Und es schenkt uns auch unzählige Gelegenheiten, den Sinn in Situationen zu entdecken zu lernen, die uns zuerst einmal gar nicht als Geschenke erscheinen. Das ist spirituelle Übung und nicht einfach.
Nehmen wir an, wir seien uns einig, dass Dankbarkeit jene volle Lebendigkeit sei, nach der wir uns alle sehnen. Dann ist also die vor uns liegende Aufgabe einfach genug: Wir müssen erlernen, dankbar zu leben. Die Schlüsselfrage lautet: Wie fangen wir das an?
In Zeiten, in denen wir körperliche, emotionale und spirituelle Schwierigkeiten durchleben, ist es für uns fast unmöglich, uns dankbar zu fühlen. Dennoch können wir uns dafür entscheiden, dankbar zu leben, uns dem Leben in aller seiner Fülle mutig zu öffnen.
Was bedeutet denn Dankbarkeit? Es ist das Gewahrsein der Einzigartigkeit eines jeden gegebenen Moments. Natürlich ist jeder Augenblick ein gegebener Augenblick – er ist ein Geschenk. Je älter wir werden, desto bewusster werden wir uns darüber, dass jeder Augenblick einzigartig ist. Die Wahrnehmung dessen stärkt unsere Freude am Leben; und mit Freude meinen wir das Glück, das nicht davon abhängt, was gerade passiert. Denn das ist wirklich das, was der menschliche Verstand ersehnt: andauernde Freude.
Die spirituelle Praxis der Dankbarkeit hängt von keiner Sprache ab, keiner Kultur, keiner Religion – sie hängt von nichts ab. Jeder Mensch kann das erkennen und es selbst ausprobieren. So einfach ist das.
Dazu kann uns eine einfache Gedächtnisstütze wie „Stop-Look-Go!“, also „Halt inne-Schau hin-Handle!“ hilfreich sein: Wir müssen innehalten, denn sonst hasten wir direkt in den nächsten Augenblick, ohne den gegebenen Augenblick auch nur wertgeschätzt zu haben. Wir müssen hinschauen, denn wenn wir einfach nur innehalten, und das war’s dann, kommt nicht viel dabei heraus. Das heißt, wir können nach den Gelegenheiten schauen, die uns in diesem Augenblick angeboten werden. Und dann erst können wir handeln. Das wiederum bedeutet, dass wir nun etwas mit dieser Gelegenheit tun können. Und dann wird diese einfache Gedächtnisstütze „Stop-Look-Go!“ zu einer wahren spirituellen Praxis, die einfach im Alltag umzusetzen ist.
Dankbarkeit macht auch schöpferisch. Das Stichwort ist hier wieder „Gelegenheit“. Genau betrachtet sind wir ja nicht für dies oder jenes dankbar, sondern immer für die Gelegenheit, uns daran zu freuen. Und wenn wir erst einmal wach werden für die unzähligen Gelegenheiten, uns zu freuen, die wir zuvor freudlos als gegeben hinnahmen, dann vervielfältigt sich sofort unsere Lebensfreude. Es geschieht aber noch etwas Weiteres: Wir kommen in Übung und lernen, jede gegebene Gelegenheit beim Schopf zu packen – das macht uns schöpferisch. Jetzt sind wir nämlich imstande, auch mit Situationen umzugehen, in denen uns etwas begegnet, wofür wir nicht dankbar sein können. Wir fragen uns dann ganz spontan: „Wozu schenkt mir das jetzt Gelegenheit?“ Meist ist es Gelegenheit, Neues zu lernen. Menschen, die zu einer solchen Haltung fähig sind, erfahren nicht nur viel mehr Freude, sie sind auch im höchsten Grade schöpferisch.
Zuletzt sei noch darauf hinweisen, dass einige von uns dem Begriff Dankbarkeit mit Skepsis begegnen. Das mag mitunter daran liegen, dass fast jede und jeder von uns Situationen kennt, in denen Dankbarkeit von uns erwartet wurde, obwohl wir uns nicht dankbar gefühlt haben. Diese mit dem Begriff Dankbarkeit in Verbindung stehenden unangenehmen Gefühle können uns bei der Beschäftigung mit der Dankbarkeit als spiritueller Praxis im Wege stehen. Dies zu sehen, kann hilfreich sein, um der Praxis der Dankbarkeit die schöpferische Chance zu geben, die sie verdient.
Und es geht hier auch um unsere ganz persönliche Verantwortung. Verantwortung ist ein schönes Wort. Es hat eigentlich schon das STOP – LOOK – GO in sich. VER – ANTWORT – UNG. Das VER heißt gründlich, ganz grundlegend. Und grundlegend wird etwas nur, wenn man der Sache auf den Grund geht. Dazu muss man innehalten In VERantwortung ist also schon das Stop enthalten. ANTWORT ist hier die Antwort auf die Gelegenheit die das Leben uns gibt. Da muss man schauen und mit allen Sinnen offen sein, was will jetzt das Leben von uns? Was bietet uns das Leben für eine Gelegenheit. Und dann das UNG, die BewegUNG, das ist das GO – die Antwort, die wir geben, wenn wir uns der Verantwortung stellen, wenn wir etwas tun. Das Leben und der Schwung des Lebens und die Kraft des Lebens ist dann mit uns. Das weiß ich, darauf hoffe ich und dass wir das können, das wünsche ich mir und uns allen.